Re: Große Jura-Prüfung 2012

von: veloträumer

Re: Große Jura-Prüfung 2012 - 06.02.13 19:41

Jouristische Abschlussprüfung:
Höhlentauglichkeit und infektiöse Seeschwäche

Jura Suisse du Sud II: Seenland, Feenschatz und schmucke Mauerwinkel – Der Waadtländer Jura zwischen Lac de Joux und Lac Léman


So 27.5. Le Pont – Col du Mont d'Orzeires (1061m) – Vallorbe – Grottes de Vallorbe/Source de l'Orbe – Vallorbes – Romainmôtier – Col du Mollendruz (1180m) – Petra-Felix (1144m) – Les Bioux – Le Brassus – Col du Marchairuz (1447m) – Longirod – Bassins – St-Cerque
91 km | 12,6 km/h | 7:19 h | 1360 Hm
W: bis ~21 °C, überwiegend sonnig, wenn bew. sehr kühl, sehr windig
B: Grottes de Vallorbe 12,50 €
E: Penne mit Morcheln, Salat, Rw, Cafe ~ 35 €
Ü: C St-Cerque ~12,30 €

Mein privater ortsnaher Zeltplatz verdient besondere Beachtung: Mit Ausblick auf historisches Bahnmaterial, für unseren Schienen-Fetischisten Falk gar wohl ein 5-Sterne-Platz. schmunzel Gleich unmittelbar dort liegt auch der kleinere Lac Brenet, noch gut auf der gesamten, leichten Auffahrt zum Col du Mont d’Orzeires im Rücken zu erblicken. Zuvor nutze ich noch die stille Morgenstimmung am Lac de Joux, der in seinem ein glatten Spiegel die Schönheit der Bilder quasi verdoppelt. Im See steht auffällig das geflügelte Pferd Pegasus, eine Skulptur von André Lasserre. Es ist ein Auftragswerk des regionalen Energieversorgers CVE aus dem Jahre 1959 gewesen und symbolisiert entsprechend die Energie des Lac de Joux, die sich der Mensch zu Nutze macht. Eine historische Turbine kann man in Vallorbe an der Orbe-Quelle als Skulptur bewundern.

Die Orbe-Quelle erreicht man nach der Passabfahrt per flache Stichstraße, die am Ortsanfang von Vallorbe abzweigt. Hier tritt die Orbe wiederum unspektakulär aus dem Fels in Erscheinung. Das Wasser stammt aus den Lac de Joux ebenso wie aus dem Lac Brenet, die beide keinen sichtbaren Abfluss haben. Die Orbe entspringt allerdings regulär weiter südwestlich in Frankreich bei Les Rousses und durchfließt zuvor noch das gesamte Hochtal Vallée de Joux. Über die größeren Parkplätze sollte man sich nicht wundern, weil es hier mehr zu sehen gibt als nur eine romantische Wiederkehr eines Flusses. Die Grottes de Vallorbe bilden ein Höhlensystem, das gegen Eintritt besichtigt werden kann. Man darf einen großen Zauber aus Stalaktiten und Stalagmiten erwarten. Mehr noch – einzigartig lässt sich am Ende des Grottendurchgangs der unterirdische Lauf der Orbe beobachten. Die Säulenkunstwerke samt großer Säle kann man auf gesicherten Wegen und Stiegen bemustern. Die leihweise erhaltenen schriftlichen Unterlagen informieren über die einzelnen Attraktionen, die per Lichtdetektor für jeden Besucher angestrahlt werden. Im finalen großen Säulensaal glaubt man eine Madonna zu sehen – dazu gibt es sakrale Klänge zu hören – unweigerlich denke ich in einer Höhle in der Schweiz dabei an den Harfenzauberer Andreas Vollenweider (“Belladonna“ aus Caverna Magica (5:26 min.)). Als Schmankerl gibt es noch eine Fee, die ihren Schatz behütet – eine bemerkenswerte Sammlung unterschiedlichster Mineralien, edel und ein wenig geheimnisvoll präsentiert.

Soweit wieder aus dem Berg – auch Vallorbe bietet ein paar einladende Winkel, wenngleich keine architektonischen Preziosen erwartet werden dürfen. Die gibt es wenig später in Romainmôtier zu bewundern. Die Vallorbe-Schlucht kann man einsehen, zu beiden Uferseiten führen die Verkehrsachsen weit oberhalb des Flusses. Die Strecke zur rechten Uferseite ist erstaunlich ruhig, hat Wiesen- und Weidecharakter, führt parallel zur Bahnlinie. Zweigt man in Croy nach Romainmôtier ab, ist man alsbald in einem pittoresken Ort mit romanischem Kloster, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Das historische Kulisse lockt natürlich viele Touristen an, das Kleinod wird in seiner ganzen verträumten Schönheit liebevoll museal gepflegt. Passend finden sich neben vielen kleinen Gasthäusern und Cafés die Anbieter von Kunst und Kunsthandwerk. Das ehemalige Priorhaus ist sodann heute auch Künstlertreffpunkt wie auch alternatives Café – selbstgebackene Kuchen sehe ich. Zum örtlichen Handwerk gehört auch das Backen. Davon sollte man sich in der „Fleur de Farine“ überzeugen – leckere Kuchen und ausgefallene Brote, zum Beispiel mit Feigen oder gar ein Riesenbrot – nicht ganz ungefährlich, es scheint ein Krokodil zu sein.

Im Klosterhof treffe ich ein Reiseradlerpaar aus Bern – so um die 30 Jahre alt und zum ersten Mal im Jura. Ich bin erstaunt, das Gute doch so nah, wie kommts? „Irgendwie nie aus Bern herausgekommen, wohl auch wegen der Berge“, meint er. Na, da hat er ja noch viel Schweiz zum Kennenlernen vor der Haustür. In Erinnerung hat ein Freundeskreis des französischen Komponisten Jehan Alain die Orgel aus Familienbesitz (vom Vater gebaut) nach Romainmôtier überführt und restauriert. Ausgewählten Tagen wird die Orgel in Konzerten der Öffentlichkeit vorgestellt. Alain, der nur 39 Jahre alt wurde, weil er als Soldat dem Wahn des 2. Weltkrieges zum Opfer fiel, erlangte als Orgelkomponist weltweites Renommee, zu seinen Einflüssen zählten Debussy, Messiaen, Fernöstliches und Jazz ebenso wie auch Philosophie. Zu Ehren Alains ein Klangbeispiel: „Litanies“ (4:12 min.), leider nicht von der Alain-Orgel.

Will man nun den Col du Mollendruz mitnehmen, muss man eine steile Nebenstraße nach La Praz einschlagen. Es wird wieder bäuerlich, blühende Wiesen erfreuen das Auge und auch ein weites Panorama lässt den Genfer See nahe kommen. Weiters bekommt man um die Passhöhe herum die Steinmauern der jurassischen Hochweiden wieder zu sehen – ähnlich wie auch am späteren Col du Marchairuz. Als flaches Zwischenspiel kehre ich nochmal zum größten natürlichen Jurasee, dem Lac de Joux, zurück. Die Straße am Südostufer verläuft etwas oberhalb des See, direkt am See führt ein Fußweg entlang, der wohl auch als Radweg frei gegeben ist – zumindest sehe ich Radler dort fahren. Des Ausblicks wegen lohnt aber die Straße mehr als der Uferweg. Am Südende geht der See in Moorwiesen über, die mit Stegen überspannt sind. Die Besiedlung am Südufer ist dichter als am Nordufer – teils bäuerlich, aber auch erkennbar vom sanften Tourismus geprägt.

Immer im Blick zurück hat man den markanten Dent de Vaulion, der das Vallée de Joux vom jenseitigen Orbe-Tal abschneidet. Die Kehren am durchaus anspruchsvollen Col du Marchiaruz locken auch Motorradfahrer, insgesamt ist der Pass recht stark befahren. Schön ist er aber, denn das Seepanorama bleibt lange im Blick, eindrücklich auch die Hochweiden, die teils sogar alpin wirkende Blumenwiesen bereit halten. Auf der Südostseite reicht der Blick weit über weiche Hügel bis zum Genfer See, heute aber im Dunst nicht gut auszumachen. Bei klarer Sicht würden einen hier die großen Alpenketten in der Ferne erwarten.

Die Abfahrt endet für mich kurz nach Marchissy, es beginnt eine leicht wellige Fahrt auf Halbhöhenlage, oft mit gepflegten Dörfern, die schon etwas auf das Genferseegebiet schließen lassen. Viele scheinen Pendler, der bäuerliche Raum ist hier im Rückzug begriffen. Mit dem Anstieg über Arzier nach St-Cerque beginnt wieder ein anstrengender Teil. St-Cerque ist weniger Ferienort als ich erwartete. Der Ort ist recht groß und wächst weiter, aber doch findet sich nur eine einzige Lokalität offen. Ganz offensichtlich fleißige Pendler, die ihre Abende erschöpft hinter den eigenen Fenstern verbringen wollen. Immerhin gibt es oberhalb des Ortes einen passablen, gartenähnlichen Campingplatz, den ich nach dem Essen noch ansteuere. Die Portion Nudeln ist kaum zur Sättigung gedacht, ohne Morcheln gäbe es sie auch günstiger, aber Morcheln sind nun mal die Heimatpilze des Jura – und es ist ja schon wieder der letzte Reiseabend. traurig

Mo 28.5. St-Cerque – Col de la Givrine (1228m) – La Cure – Le Gravier – Le Vivier-des Rousses – Les Rousses – La Cure – Col de la Faucille (1320m) – Gex – Vesancy – Divonne – Nyon 16:27 || 22:08 Stuttgart
76 km | 15,4 km/h | 4:55 h | 475 Hm
W: 12/15/25 °C, meist sonnig, oben kühl, am Genfer See sommerlich, windig

Oberhalb von St-Cerque beginnen die reizvollen Chalet-Häuschen, die sich an den Bergen versteckt verteilen, geben ein liebliches Bild ab. In der Schweiz kein Berg ohne Bahn, wir erinnern uns – so gibt es auch hier eine Trasse bis Les Rousses, der Anschluss des Genfer See auf die Skihöhen des Jura. Les Rousses ist denn auch im Stile französischer Skiorte gebaut, nicht gerade eine Augenweide, aber immerhin mit guten Versorgungsmöglichkeiten. Zuvor umfahre ich noch den Lac des Rousses, in etwa das echte Quellgebiet der Orbe. Das Westufer ist romantischer als das Ostufer zu fahren, durchaus ein lohnenswerter Umweg insgesamt.

Von Les Rousses führt die Strecke eher als Höhenstraße zum Col de la Faucille, die Bergwiesen am La Dôle, dem zweithöchsten Juraberg des Schweizer Jura mit einer markanten kugeligen Radarstation, wirken sehr alpin. Landschaftlich ist dieses Stück aber eher nur durchschnittlich, großes Panorama fehlt gänzlich. Das änderst sich markant mit dem Durchbruch am Col de la Faucille. Hier erwarten einen stetige Blicke auf den Genfer See, sogar die Wasserfontäne von Genf lässt sich recht früh fern im Dunst ausmachen. Besonders reizvoll erhebt sich die Jurakette mit schön ausgeformten Bergkuppen. Als Auffahrt gedacht eine schwere, aber sehr reizvolle Strecke.

Während Gex auf mich einen ernüchternden Eindruck macht, ist Vesancy mit einem kleinen Schlösschen auf der Nebenstrecke eine kleine Entdeckung. Damit sind schon die letzten wenigen Höhenmeter des Tages gemacht, wenn man mal von innerörtlichen Steigungen in Nyon absieht. Divonne-les-Bains als wachsender Thermalkurort zeigt sich ein wenig mondän, hat aber auch ein großes, bürgernahes Freizeitgebiet an einem See, der schon in der großen Seeebene des Lac Léman liegt. Auf der Ebenenfahrt durchquert man Rebenfelder, manchmal kann man aufgrund des geringen Neigewinkels der Hänge kaum drüber schauen auf die Alpengipfel. Nach der dunklen Wolkenphase um den Col de la Faucille und den vielen Wetterkapriolen auf der gesamten Tour gab es zum Abschluss noch einmal vorsommerliches Seewetter – man möchte meinen, jemand möchte versöhnlich stimmen.

Nyon, ein alte keltische, vor allem aber römische Siedlung und entsprechend auch mit Römermuseum, zählt zu den absolut sehenswerten Orten am Genfer See. Das Schloss aus dem 13. Jahrhundert, später auf die vier Türme erweitert, liegt in der Oberstadt und prägt die Blickwinkel von allen Seiten. Hier hat man auch die beste Aussicht auf See und Alpenkette. Das meiste Leben spielt sich in den Altstadtwinkeln im Seeuferquartier ab – pulsierendes Leben bei Eis, Crêpes, Kaffee, Rösti und Fastfood. Die Stadt ist keineswegs nur in den Händen von Touristen, überall spürt man auch den Flair der Schweizer Jugend – Leben am See unbeschwert scheinbar, und doch auch mit Alltag verknüpft – kein Luxusfrevel. Ein Hauch von savoir vivre, ein Hauch von Süden. Ich könnte mir vorstellen zu bleiben.

Was kommen muss, ist schneller als die Muße zulassen möchte: Der Rückzug ruft noch bevor ich letzte Franken in ein Abschiedsrösti investieren könnte. Die Franken brauche ich ja noch – im Dezember, in Basel. Wer hätte das gedacht: Das Radjahr endet im ersten B wo alles mit Code BBB begann. Das Leben ist ein Kreis – wie das Wasser, wie die Gedanken der Geister – es braucht nicht mal Absinth, um es zu verstehen. unsicher Bleibt zu sagen: Die Bahn zeigte sich auf der Rückreise fehlerlos. Was so unspektakulär ausläuft, war doch im Kern ein hartes Stück Arbeit, eine jouristische Herausforderung eben. Geschmeichelt von warmer Sommerluft glättet sich die Erinnerung schon im großen Spiegel des Sees als erlebtes Glück. Glück weil vogelfrei – vogelfrei weil auf dem Rad. Danke Team Code BBB! Danke Markus! Danke Schweiz! Danke Frankreich! Danke Rousseau! Danke Kevin! – Juraaaaa!!! bravo

Bildergalerie Teil 4 (175 Fotos):



Euer Jourist
veloträumer
… in Erwartung Dr. j(o)ur. ?