Re: Persönliche Radreise-Essenz in einem Foto

von: veloträumer

Re: Persönliche Radreise-Essenz in einem Foto - 11.03.16 15:18

In Antwort auf: Pierrot
Ich mache Radreisen, weil ich mir mit einem Fahrrad in einem perfekten Tempo Lanschaften erschließen kann, das ist mir das Wichtigste, womit ich die meiste Zeit verbringen.

Hier liegt der Knackpunkt. Die Frage ist, wie kann ich das in einem Bild darstellen. Ein schlichtes Landschaftsbild verrät das nicht. Ähnliches gilt auch für reine Essenzbilder etc. Es kann auch ein Wohnmobilist, ein Motorbiker, ein Wanderer machen. Ebenso haben die auch Lieblingsreiseländer, erfreuen sich an der Idylle, am Grün, an schönen Ausblicken. Möchte man die Rasanz eines schnellen Radelns darstellen, gibt es geeignete fototechnische Möglichkeiten (Bewegungsunschärfe, perspektivische Verzerrung). Schwieriger ist es, Langsamkeit abzubilden. Das funktioniert nur über Motive oder Symbole. Manchmal eignet sich Bewegungsunschärfe von Wasser, das dann zu Nebel (= Ruhe, Idylle, Stille) wird. Der Mittelweg eines "perfekten Tempos" macht es nicht einfacher. Ob man ohne ein Bildelement mit Radbezug auskommt, dürfte schwer werden. Denn jederzeit ließe sich das für andere Fortbewegungsarten interpretieren. Aus persönlicher Sicht mag das keine Rolle spielen, weil du die Information des Radfahrens im Hinterkopf hast. Das Bild muss es aber irgendwie mitteilen können, sonst könnte man auch sagen, es ist ein inneres Bild und das verrate ich euch nicht - ätsch. Das veröffentlichte/gezeigte Bild muss aber die Kommunikation zu dem herstellen, was du denkst und fühlst. Und ja, das ist auch ein Stück weit die Kunst der Fotografie.

Es gibt oben bereits einige Beispiele, die zumindest einen Teil der Essenzen gut umsetzen. Holgers Bild ist bereits ein Bild, dass ein Entschleunigungskompenente beinhaltet, mit dem Radmotiv zusammen ist das eine gültige Interpretationsmöglichkeit für die "Entdeckung der Langsamkeit", der sich viele Reiseradler hingezogen fühlen. Auch der "Hunger" auf einer Tour ist bereits mit "Alimentation" in gewisser Weise festgehalten. Das entschleunigte Reisetempo könnte man noch besser rausarbeiten, wenn es ein Geschlossen-Schild für die Siesta (z.B. "12-15 h fermé") im Bild gäbe, vielleicht noch hochgelegte Beine auf einer Bank hervorschauen würden. Man würde sagen: Der Radler hat Zeit zu warten, bis der Laden aufmacht, um sich dann zu versorgen - hier sogar "ländlich-lokal". Diese Interpretation könnt man nun noch wortreich weiter ausschmücken, ebenso wie sich Teilessenzen aus den anderen Bildbeispielen herausarbeiten ließen.

Symbole für Langsamkeit könnten natürlich auch sein: ein alter Mensch auf einer Bank, eine Schnecke oder auch oben eine Schildkröte. Ohne ein Bildelement des Fahrrads ist aber die Interpretation auch beliebig und nicht spezifisch aufs Radreisen zu lesen. Ein wichtiger Aspekt für mich beim Radreisen ist die Unabhängigkeit, die Freiheit. Natürlich bin ich etwas weniger flexibel als ein Wanderer, aber ich bin weniger an Vorgaben gebunden wie sonstige Verkehrsmittel und immerhin durch das schnellere Rad manchmal doch wieder flexibler als ein Fußgänger. Im Gegensatz zum Auto kann ich besser überall anhalten, einen Moment genießen. Die Momente sind ebenso wichtig wie das Fließende - beides mischt sich auch. Ich bin in der Bekleidung freier als ein Motorbiker, nicht zuletzt ist auch der helmlose Kopf ein Teil dieser Freiheit. Es ist sogar die sinnliche Empfindung der Haut, die mir das absolute Freiheitsgefühl vermittelt. Die heiße Sommerluft abwärts vom Timmelsjoch (10 Jahre her) ist in mir immer noch eine lebendige Erinnerung, die diesen ganzen Höhenrausch der Berge verkörpert. Da gibt es aber nichts Bildlerisches zu. Genaugenommen müsste ich gar ein Bild mit Nacktporträt auf Rad einstellen - das möchte ich euch aber hier in der Kindergartenecke ersparen (auch wenn ich mehrere solcher geeigneter Esssenzbilder hätte). grins

Ein Bild ohne Rad, also auch mit Interpretationsmangel (gewiss müsste es drauf sein, um komplett zu sein), dennoch für mich einer wichtigsten "Essenzbilder" ist das Folgende. Es gibt mehrere Elemente einer der intensivsten Radreisen wieder, die mich an die Grenzen brachte und gleichzeitig das Grenzenlose zeigt (zwischen Land und Wasser, zwischen Himmel und Meer, Endpunkt ohne Ende), die Weite, die man immerzu beim Radeln unmittelbar erlebt, die atemberaubende Verbindung zweier Meere, die ich überbrückte (die Arme deuten es an in Ost-West-Richtung), der Geruch des Meeres (man ahnt es dem Dunst nach), die erholende Wirkung der salzhaltigen Luft auf die geschundenen Bronchien, die Sonne als beglückender und energetischer Teil der Kraft der Elemente, der Wind, den man ahnen kann über die Arme mild und sinnlich zu streichen. Das alles findet vor dem Hintergrund einer Tour statt, auf der ich eine schwere Erkältung erlitt, die mich an den Rand des Abbruchs der Tour führte. Es ist also auch eine Siegespose, diesen Kampf gewonnen zu haben, gewiss auch den über die Berge zudem, wie er immerdem auf einer großen Tour stattfindet. Die Radreise als Heilmittel - nicht nur psychisch, auch physisch. Man kann an ihr wachsen, aber auch zerbrechen. Die Arme ausgebreitet können aber auch Umarmen - die Liebe zum Land, zum Ort, Bekenntnis zur Freund gewordenen Fremde - ich umarme ein Land und einen Moment.

Das Ganze hat auch noch etwas Sakrales, eine Kreuzbildung und Verbindung in den Himmel (wenn man so will gab es auch eine Überschneidung mit Pilgerwegen), aber doch eine Erdung wie ein Blitzableiter (alles empfangen, was ich erleiden musste), Im Zweifel Symbol der Berge, der grünen Berge (es waren die Pyrenäen, Costa Verde usw.) - geerdet auch, denn die Szene ist gar banal, die zweite Frau mit Zigarette zeigt das Alltägliche. Und noch mehr, hat es für mich auch einen Hauch von Erotik. Das alles bin nicht mal ich - es ist aber ein Bild, von dem ich spontan sagte - das ist die Geste, das Bild, das ich abgeben müsste - das ist meine Reise gewesen - mehr noch, ein Symbol für diesen Kampf mit Rad, Natur und den diversen Widrigkeiten und der Freude - ja diesen Bildern von hochglücklichen Momenten, die diese Radreisen immer wieder hinterlassen. Ich hatte sogar die Idee, das Rad auch noch ins Bild zu schieben, aber dann war die Frau weg. Ein Bild also am Olymp, eine Krönungszeremonie und doch alles auch nur ein flüchtiger Moment - und ja, ich hatte auch eine paar Tränen im Auge. Ort: Cap de Creus: