Re: Live-Bericht: Nürnberg-Nordkap

von: el loco

Re: Live-Bericht: Nürnberg-Nordkap - 23.06.14 22:03

Das bereits beschriebene Time-Square-Gefühl überforderte mich ein wenig und ich irrte die Fußgängerzone von Oslo entlang, um ein wenig eine Art Überblick über die Stadt zu bekommen. Ich ordnete meine durcheinander gewirbelten Gedanken und suchte meine Notizen, die mir sagen sollten, was ich alles in der Stadt machen wollte. Da ich nach wochenlanger Beschaulichkeit solche Menschenmassen nicht mehr gewohnt war - in der Stadt war die Hölle los, flüchtete ich in den Skulpturengarten, wo ich unter meinesgleichen - also Touristen - verweilte. Schließlich zerronn der Nachmittag schnell und ich warf einen Blick auf den Fährenplan.

Ich musste noch zur Insel Langoyene im Oslofjord. Dort war Campen kostenlos. Zum Glück fuhr die Fähre stündlich bis 21 Uhr - so dachte ich! Zunächst wunderte ich mich, dass sie knapp eine halbe Stunde Verspätung hatte. Ein Blick abermals auf den Plan verriet ein Symbol, das auf eine Ausnahme hinwies. Im Juni wird die Insel nur bis 18 Uhr angefahren! Dank des Reiseradler-Wikis war ich eigentlich gebrieft im norwegischen Fährenplan-Chinesisch. DX5 heißt z. B.: Das Boot fährt zur entspr. Zeit täglich außer freittags. Umso mehr ärgerte ich mich über das kleine übersehene A, das auf eine Fußnote hinwies.

Trotzdem fragte ich die neben mir einzigen zwei wartenden Frauen ganz naiv, ob das gerade ankommende Boot nach Langoyene fährt. Nein, tut es natürlich nicht. Sie hatten sich im Internet ebenso im Fährenplan verlesen - obwohl sie aus Oslo kommen. Das anlegende Boot fuhr nach Gressholmen, einer anderen Insel direkt daneben. Sie fahren erstmal dort hin und versuchen dann von dort ein Boot zu finden, dass sie schließlich nach Langoyene bringen soll. Und wenn ich ebenso auf ein Abenteuer aus sei, könne ich mich ihnen anschließen. Natürlich war ich das. Und selbst wenn ich es nicht gewesen wäre, ich hatte keine andere Wahl. Aus der Großstadt jetzt noch rauszufahren um zu campen, dafür war es recht spät gewesen. Zudem wollte ich den Tag darauf wieder in die City. Da waren noch Museen zu besuchen und ein Laufrad mit Riss auszuschauen usw. Ich folgte also ohne zu zögern der Aufforderung. Der Fährmann, der aussah wie Captain Iglu - ehrlich! - aber hob die Hand: Fahrräder seien auf Gressholmen nicht erlaubt. Wenn ich mitwolle, müsse ich es abschließen und hierlassen. Das ging natürlich nicht. Ich fluchte innerlich alle norwegischen Schimpfwörter, die ich in meinem Norwegischkurs gelernt hatte. Warum zur Hölle klappt nun garnichts?! Jedoch ließ der weiße Rauschebart sich erweichen, nachdem ich ihm versicherte, dass ich ohnehin nach Langoyene will, auf den Inseln nicht radeln werde und morgen früh auch wieder aufs Festland übersetzte. Glück gehabt!

In Gressholmen angekommen realisierte ich erst, dass Marie und Linn Gepäck dabei hatten, das ein ganzer Hausstand hätte sein können. Zudem hatten beide je einen Sohn dabei. Marie, so erfuhr ich später, war gebürtige Spanierin aber kam schon als Kind nach Oslo. Linn war eine Punkerin - zumindest äußerlich - und redete nicht direkt mit mir, mit ihrem Jungen aber auch kaum, vielmehr mit ihrem Pitbull, den sie an der Leine führte. Nur als sie etwas englisch redete, war mir klar, dass sie das wohl nur wegen mir getan haben muss. Untereinander redeten sie natürlich norwegisch. Marie erklärte mir, wir müssten zum anderen Ende der Insel wandern. Dort sei eine Bar und vielleicht findet sich dort jemand mit einem Segelboot. Natürlich hatte die Bar zu. Daher zückte sie das Handy und es sollte ein Freund mit einem Boot kommen. Indessen nahm ich ihr beim Wandern die große Sporttasche ab, in der Backsteine gewesen sein müssen. ``You ok, german?`` fragte sie hin und wieder, obwohl ich ihr schon längst meinen Namen verriet, und ich bejahte dies. Auf meiner langen Reise hatte ich auch wirklich schon Anstrengenderes hinter mir. Zudem war ich recht ausgeruht von den kurzen Strecken der Vortage und dem Aufenthalt bei Gerrit. In Gewissheit, jederzeit irgendwo campen zu können, störte mich auch die Ungewissheit nicht, wann und ob überhaupt wir noch zur anderen Insel übersetzen werden. Am anderen Ufer von Gressholmen warteten wir also. Es wurden über 3 Stunden. Die alleinerziehenden Mütter, die beide jünger gewesen sein müssen als ich, und deren Kinder verloren abwechselnd die Geduld. Ich erkannte das entweder am scharfen Ton, den sie untereinander führten oder am sporadischen Heulanfall der Jungs im Grundschulalter. Ich ließ mich nicht davon anstecken, sammelte Muscheln, bestieg einige Felsen, genoss die Aussicht und schoss Fotos. Marie rannte von Felsen zu Felsen mit ihrem Handy am Ohr und wedelte mit ihrem Sonnenschirm. Linn wickelte sich in eine Decke ein und schlief. Ihr Pitbull war angeleint, zitterte fürchterlich, da er im Wasser war und ein scharfer Abendwind ging. Ich zog Hose und Jacke an und packte schließlich meine Brotzeit aus. Die Jungs saßen sich zu mir und ich teilte meine schwedischen Pitas mit Frischkäse mit ihnen.

Es war halb zwölf in der Nacht und noch recht hell. Noch immer konnte man den gesamten Oslofjord überblicken, da näherte sich ein kleines Segelboot mit einem Ruderboot im Schlepptau dem felsigen Ufer. Der Mann um die 50 stellte sich mit Karl bei mir vor und wir luden alle Taschen ins Boot sowie mein Fahrrad ins Beiboot. Ich ärgerte mich, die Taschen am Rad gelassen zu haben. Ja sogar mein Handy ließ ich in der Oberrohrtasche. Panische Bilder kamen in mein Kopf, wie das Beiboot voll Wasser lief oder gar mein Rad im Fjord versank. Doch nun war es zu spät und wir segelten ans andere Ufer. Bei jeder schaukelnden Bewegung bekam ich Angst um mein Rad und blickte stets sorgenvoll hinüber zum schwankenden Ruderboot. Eigentlich hätte ich genausogut auf Gressholmen zelten können. Ich wollte ja am Morgen ohnehin wieder zurück in die Stadt. Aber Marie versicherte mir stets, dass es nicht mehr lang dauerte, bis das Boot kommen sollte.

Es waren nur noch wenige Meter zur Anlegestelle von Langoyene, da kamen große Scheinwerfer direkt auf uns zugefahren - es war die Wasserpolizei. Nach längerem Gebrabbel auf norwegisch erkundigte ich mich doch, ob es irgendwelche Probleme gab. Wie ich es verstanden hatte, hätte der gute Karl ein Licht an seinem Kahn montieren müssen. Auch wenn es um Mitternacht nur etwas dämmerte. Letztlich folgte die Polizei uns bis zur Anlegestelle, Karl verschwand im Polizeiboot und wir entluden das Segelboot. Er musste wohl Strafe zahlen, wie ich erfuhr.

Mit ihrem Gepäck, ihrem Hund und ihrem Sohn machte sich Linn gleich auf ins Landesinnere. Ich fragte Marie, ob wir eben noch mein Rad aus dem Beiboot hieven könnten. Sie meinte nur, dass ich ins Wasser steigen könne und es zum Ufer tragen müsse. Die Anlegestelle war erhöht, sodass wir das Rad nicht auf den Steg hätten heben können. Und das Boot lag auch 10 Meter von der Küste entfernt, die eine Wüste scharfer Steine war, und kein Badestrand.Ich zog also Schuhe aus und tappte in Radlerhose vorsichtig über den gefühlten Scherbengrund zum Ruderboot, bis ich bis zur Hüfte im eiskalten Wasser stand. Ein Glück, dass das Rad mit Gepäck so leicht war. Daher musste ich nicht zweimal gehen und schulterte es vorsichtig. Die letzten Meter konnte ich es durchs Wasser schieben, auch wenn ich Angst um meine Reifen hatte. Zahlreiche Steinchen und zerbrochene Muscheln machten den Akt unerträglich.

Während ich also mein Rad letztlich unbeschadet und fast trocken retten konnte, hatten sich meine Begleiter alle schon aus dem Staub gemacht. Die werten Damen hätten sich wenigstens für den Transport ihrer Backsteine bedanken können. Ich hätte dasselbe für die Überfahrt getan. Oder wenigstes Tschüss sagen können... Aber letztlich war es mir nur recht, alleine zu campen. So sympatisch waren sie mir eh nicht, die Kinder waren ohnehin anstrengend und ich wollte ja vormittags bald los. An der erstbesten Stelle baute ich mein Zelt auf und zog um kurz nach 1 Uhr nachts endlich meinen Schlafsack zu. Linn hörte ich noch manchmal aus der Entfernung mit ihrem Hund und/oder ihrem Sohn schimpfen. Dennoch schlief ich schnell ein. Puh!

Am Samstag wollte ich mich zuerst um meine gerissene Felge kümmern. Da mir hier doch alle zu einem schnellen Tausch geraten haben, klapperte ich einige Radläden ab. Die günstigste gute Felge nahm ich schließlich für 800 Kronen (=100 Euro). Um ein Wochenbudget ärmer aber glücklich, dass alles wieder funktioniert, überlegte ich, endlich einige Touri-Aktionen zu machen. Ich wollte das Wikingerschiffmuseum sehen und in der Nähe sollten noch andere interessante Orte sein. Letztlich entschied ich mich aber fürs Weiterfahren. Ich hab in Oslo genug erlebt, dachte ich mir, und einen ausgiebigen Touristenaufenthalt würde ich in einem anderen Oslo-Besuch lieber machen wollen, bei dem ich auch nicht alleine bin.

Witzig: Einige Kilometer vor der Stadt war der IKEA zu finden. Ich konnte nicht widerstehen und wollte den Preis für den Hotdog vergleichen. 5 Kronen! Also knapp 60 Cent! Ich bin froh, dem 10-Euro-Döner in der Innenstadt widerstanden zu haben und aß gleich drei Hotdogs. Es war das Erste, was hier billiger war als daheim. Der IKEA liegt direkt an der Radroute nach Lillehammer. Ein echter Geheimtip für Radreisende. ;-)

In der Olympiastadt von 1994 bin ich nun auch im bequemen Bett eines Couchsurfers - hab ich ein Glück! Den Weg dorthin und den langen Tag heute möchte ich morgen beschreiben. Sodass die Lücke zwischen Jetz und Bericht endlich etwas kürzer wird.

Gruß
Manuel