Re: Kuba 2012 - Revolución, Welten, Generationen

von: Anonym

Re: Kuba 2012 - Revolución, Welten, Generationen - 22.05.12 08:05

In Antwort auf: joeyyy

Meine Aussonderungsgedanken kommen wieder. Wäre ich hier ein Dissident?

Aussonderung hier bedeutet Gefängnis, Hausarrest oder Ausweisung. Merkmal eines autokratischen Systems.

Was würde mir hier zur Last gelegt um mich auszusondern? Braucht es überhaupt eine Begründung zur Aussonderung in beziehungsweise aus einem autokratischen System?

Letztlich ist es wie in der Sesamstraße: Hier sind sechs Bilder, eins passt nicht zu den anderen fünf. Suche es und lege es raus. Auch Schopenhauer stellt fest: Einer von sechsen passt nicht zu den anderen fünf. Dafür denkt er zu viel. Ist unabhängig von Ehre und Ruhm, Hab und Gut, mit sich selbst im Reinen und sich selbst genug, kann sein Leben verantworten, wie auch Camus es fordert.

Die Güte, die geistige Reife, die systemische Stärke eines Systems zeigt sich in der Art und Weise wie seine Führer mit den Nicht-Führbaren umgehen. Deren Kreativität nutzen. Oder gelassen ignorieren. Ein nachhaltig gesundes öko-soziales System offenbart sich über seine Resilienz gegenüber Ausnahmesituationen. Und die wird trainiert über das Auseinandersetzen mit dem Unbequemen, dem vordergründig Bedrohenden. So wie eine übertriebene Hygiene jeden Organismus letztlich anfälliger gegen Keime werden lässt und ihm somit existentiell bedroht, bedroht das Aussondern geistiger und kultureller Vielfalt langfristig die Existenz einer Organisation oder eines Systems.

Aber ich bin zum Reisen in Kuba, ohne politischen Auftrag. Die sinkende Resilienz des autokratischen Systems hier zeigt sich im Verfall der Häuser, im Mangel an qualitativ hochwertiger Bekleidung. An der Ungleichheit zwischen Arbeitsleistung und Arbeitslohn bei Lehrern und Ärzten. Die werden unzufrieden, wechseln als Pförtner in Hotels oder Sicherheitsleute in Restaurants, wo sie leicht doppelt so viel verdienen wie bisher.


Der Unfähige und der begabte Außenseiter haben von einem System die gleichen Reaktionen zu erwarten. Der Unfähige verwechselt sich gerne deswegen mit einem begabten Außenseiter. Mit solch einem Wortgeklingle stilisiert er sich innerlich zum Helden und unterlässt das Wichtigste für sich selbst, sich fähiger zu machen und verhaart versponnen in den Heldenträumen über sein Selbst in seiner misslichen Lage, anstatt das Nötige zu tun, um sich selber aus dieser zu befreien.

Viele Grüße
Stephan