Spaß oder Wahnsinn? Pässe an Ferragosto.

von: touromat

Spaß oder Wahnsinn? Pässe an Ferragosto. - 08.09.16 11:33

4 Tage - 600 Kilometer – 10.000 Höhenmeter





Kurze Erklärung vorab:

„Ferragosto“ ist DER italienische Ausflugsfeiertag inmitten der italienischen Hauptreisezeit. Nicht abschließend klären konnte ich, ob der italienische Bürger zu einem Ausflug / einer Reise in dieser Zeit gesetzlich verpflichtet ist, oder ob das auf freiwilliger Basis passiert.


Überraschend tut sich ein Zeitfenster auf. Vier Tage zur freien Verfügung und dazu noch beste Wetteraussichten.

Da unsere Sommertour dieses Jahr weitgehend flach längs durch Deutschland bis Dänemark führte, würde ich gerne noch Pässe fahren. Macht das auch in der absoluten Hauptreisezeit Sinn? Ich lasse es darauf ankommen.

Vorab gibt es nur wenige feststehende Parameter für mich:

- 4 Tage Zeit
- Stilfser Joch muss dabei sein
- Start von zu Hause aus
- Auf der Rückreise möglichst wenig Zeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln verschwenden

Da ich keine Zeltausrüstung mitführe, schaue ein bisschen auf den Internet-Buchungsportalen herum und bekomme überall die Meldung „100% ausgebucht, versuchen Sie einen anderen Zeitraum“.

Eigentlich wollte ich ja am ersten Tag möglichst nahe ans Stilfser Joch kommen; also z. B. Glurns oder Prad als Übernachtungsort. Die ganze Gegend erscheint total ausgebucht. Freie Zimmer gibt es nur noch in der Schweiz!? Gut, als einzelner Radler kommt man wahrscheinlich immer irgendwie unter? Ich mag aber die Ungewissheit nicht und auch nicht den Stress mit ewig Zimmer suchen am Ende einer anstrengenden Etappe.

Es gibt noch ein einziges Zimmer-Angebot im gesamten Bereich Reschenpass – Oberes Vinschagau, nämlich in Pfunds. Gleich gebucht. Pfunds ist leider noch ziemlich weit weg vom Stilfser Joch, aber das ist halt jetzt so.



Sonntag – 14. August 2016
Ostallgäu – Pfunds
155 Kilometer – 2.700 Höhenmeter


Zunächst durch das Ostallgäu nach Füssen. Von Reutte ins Lechtal. Ich bleibe auf dem wunderschönen, aber zeitaufwendigeren Lechtalradweg – der Lech ist hier noch ein richtiger Gebirgsfluss - weil auf der Bundesstraße ziemlich viel Verkehr ist.

Mit dem Abzweig zum Hahntennjoch ist schlagartig Schluss mit der gemütlichen Bummelfahrt. Man wird gleich mit einer langen, steilen Rampe empfangen. Sehenswert die uralten Holzhäuser in Pfafflar. Gegen Ende nochmal sehr lange, steile Abschnitte. Insgesamt ist das Hahntennjoch schwerer, als die Höhe von 1.903 m vermuten lässt.

Dazu kommen noch der Lärm und das teilweise aggressive Verhalten der vielen Motorradfahrer. Warum tauchen die eigentlich immer in Horden auf? Warum müssen die immer ausgerechnet neben mir noch einmal den Motor extra laut aufheulen lassen? Auf der Passhöhe stehen sie dann, oft (mit Wampe) wohlgenährt, Kippe in der Hand, beglotzen ihre Krachkisten und versuchen sich gegenseitig mit dem Herausschreien ihrer zuvor vollbrachten Heldentaten zu übertrumpfen. Ein Alpenidyll.

Schnelle Abfahrt zunächst durch eine unwirtliche, aber beeindruckende Fels- und Gerölllandschaft, später durch lichten Bergwald bis Imst.

Der leichte Weg wäre nun flach über den Innradweg bis Landeck. Ich gönne mir aber stattdessen die Variante über die Piller Höhe (1.558 m). Auch dieser Anstieg ist nicht zu unterschätzen, gerade an einem Tag wie heute; die Sonne brennt unerbittlich in den Hang. Kurz vor der Passhöhe ein schöner kleiner Badesee, gut besucht. Sicher schön, so ein Badenachmittag am Bergsee. Ich muss aber leider weiter und beschränke mich auf einige neidische Blicke.

Gerade die letzten Kilometer bis zur Passhöhe sind durchgehend ziemlich steil. Es fällt mir relativ schwer heute. Vielleicht muss ich mich erst noch an das Gewicht des Mehrtagesgepäckes gewöhnen. Oder ans Bergauffahren nach der diesjährigen flachen Haupttour. Ein schöner Tiefblick ins Inntal; die Schwierigkeiten sind für heute geschafft.

In Prutz treffe ich auf den Radweg Richtung Reschen bzw. Via Claudia und erreiche stressfrei meinen Gasthof in Pfunds; netter, touristischer Ort, abends gibt es ein großformatiges Schnitzel vor einem der vielen Gasthöfe.

Ach ja, Bilder gibt es vom heutigen Tag keine. Ich hatte keine Lust zum Fotografieren.



Montag – 15. August 2016
Pfunds - Bormio
115 Kilometer – 2.800 Höhenmeter


Von Pfunds geht es erst einmal sehr umständlich und zeitraubend irgendwo hintenrum, bis man schließlich auf dem Abzweig Richtung Martina/Schweiz landet. Die Reschenstrasse ist hier zu Recht für Radler gesperrt. Der notwendige Umweg hält sich aber in Grenzen, die Norbertshöhe (1.461 m) ist angenehm zu fahren und in Nauders hat heute am Feiertag sogar ein Supermarkt geöffnet. Irre, hier geht es zu, als ob die Sachen verschenkt würden. Trotzdem bin ich froh, Getränke bunkern zu können.

Der Reschenpass ist schnell erreicht. Ich nehme den toll angelegten Radweg westlich des Reschen-Stausees. An ein halbwegs zügiges Vorwärtskommen ist hier jedoch nicht zu denken, die Strecke ist heute äußerst frequentiert. In St. Valentin wechsle ich auf die Bundesstraße; in der Abfahrt kann man problemlos mit dem motorisierten Verkehr mithalten und es ist mit Sicherheit weitaus ungefährlicher als auf dem Radweg. In Mals geht es auch schon wieder weg von der Bundesstraße und über das hübsche Glurns nach Prad.

Gerne wäre ich in kühler Morgenluft in den Anstieg gestartet, aber leider ist schon später Vormittag. Die Stilfser-Joch- Straße beginnt moderat, erst nach Trafoi wird es dann steiler. Schön aber, dass die Steigung einigermaßen ausgeglichen ist und es kaum bösartige Rampen gibt. Die Schwierigkeit liegt hier eher in der Länge des Anstieges.




Der Ortler, mit 3.905 m Höhe der höchste Berg hier in der Gegend.


Sowohl die landschaftliche Kulisse mit traumhaften Blicken in die Ortlergruppe, als auch die sensationell angelegte, berühmte Kehrenstrecke vermitteln so viele Eindrücke, dass man fast zu leiden vergisst.







Der oberste Teil der Kehrengruppe. Wenn man hier ein Bildchen knipst, hat man es fast schon geschafft.

Der Verkehr ist erstaunlicherweise bei weitem nicht so schlimm wie befürchtet. Oben ist Rummelplatz, trotzdem genieße ich die Pause.




Es hat sich etwas getan auf dem Stilfser Joch, seit ich das letzte Mal hier war: Seit neuestem ist es nun 2.760 Meter hoch statt bisher 2.757 Meter und es führt nun das Prädikat „Cima Coppi“.


Donnern erinnert mich an den Aufbruch. Es geht in die Abfahrt nach Bormio. Hinter dem Umbrail schon tiefschwarze Gewitterwolken.







Die Passhöhe des Umbrail mit den schweizer Grenzgebäuden.




Tolle Abfahrt, zunächst über eine Kehrengruppe, dann durch vereinzelte Galerien den Hang entlang.





In Bormio schiebe ich das Rad durch die unglaublich bevölkerte Fußgängerzone und schlage dann im Hotel auf. Wieder das einzige Zimmer, das trotz der enormen Kapazitäten zu finden war; mittags in Prad über booking.com/tripadvisor/sonstige gebucht.

Die junge Dame am Empfang erklärt mir, dass die Italiener in der Woche des Ferragosto traditionell unterwegs wären; hier in den Bergen gerne die Bewohner der italienischen Tiefebene, z. B. aus Mailand. Überall gäbe es dann noch Sonder-Events wie Feuerwerke usw.

In einer der überfüllten Pizzerias findet sich gerade noch ein Plätzchen für mich.