Re: USA im Frühling: Eine extreme Etappe

von: veloeler

Re: USA im Frühling: Eine extreme Etappe - 28.06.16 10:11

Eine extreme Etappe

Seit langem spukt bei mir der Gedanke an eine wirklich lange Etappe im Hinterkopf und hier bietet sich mir eine gute Gelegenheit: Es ist Vollmond und die Wolkenwahrscheinlichkeit eher gering.
Morgen Abend wartet in Bakersfield, weniger als 400mi entfernt, ein Motelzimmer auf mich und ich habe mich am Ruhetag über die Versorgungslage, die Temperatur- und Windprognosen (Niederschlag ist eh kein nennenswerter zu erwarten) und die Topographie informiert. Falls der Plan aufgeht, werde ich mit dem Positionslicht eine ü10%-Abfahrt zu meistern haben. Davor habe ich etwa gleich viel Respekt wie vor dem gegen Ende stark werdenden Gegenwind und deutlich mehr als den Temperaturen im Death Valley...

Mit der Sonne mache ich mich auf den Weg zuerst heraus aus dem Moloch.
Ein Toefffahrer laesst sich innerorts bei Tempo 120mph auch nicht durch die rote Ampelfarbe bremsen. Was der wohl konsumiert hat?

Mountain Springs. Der erste Pass.

Die Fahrt hinauf ist abgesehen von einer Baustelle ("bicycles use turnouts") sehr angenehm zu fahren.

Bis Pahrump geht es mit Rueckenwind, gutem Belag und ...

... bergab.

Im Ort gibts dann ordentlich Zmorge(=Frühstück). Bis zur naechsten nennenswerten Ortschaft ist es naemlich weeeeit...

Kalifornien.

Gleich nach der State Line (irgendwo auf der im Rückspiegel sichtbaren Geraden) kommen mir 20 Autos entgegen, die noch tiefer sind als ich. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von einem von denen und mir (Gegenwind, bergauf) ist immer noch deutlich ueber dem Erlaubten.

Gegenwind und auch ein paar Steigungen. Glacé(=Speiseeis) zum Zmittag(=Mittagessen) in Shoshone.

Salsbury Pass.

Bergauf
Ein Schild informiert ueber eine Strassensperre hinter dem Pass. Die paar mich ueberholenden Autos kommen alle wieder entgegen. Ich frage mich nicht, ob ich durchkomme, sondern wie viel Zeit ich dafuer brauchen werde...
Auf dem Pass selbst sehe ich das letzte Auto fuer etliche Meilen...

Death Valley.

Vor ein paar Wochen habe ich aktuelle Bilder von Blumenfeldern im Death Valley gesehen, weil es im letzten Herbst wieder einmal geregnet hat. Genau dieser Regen ist wahrscheinlich auch verantwortlich dafuer, dass die Strasse gesperrt/weggeschwemmt ist.
Die Maximalstrafe fuer Verkehr in dem gesperrten Bereich ist gemaess Schild bis 5000$ / 6 Monate Gefaengnis. Dann eben ganz langsam und im Zweifelsfall bin ich eh Fussgaenger - das wird hier wohl nicht als Verkehr zählen... Was ich dann ein paar Mal auch tatsaechlich bin - allerdings wegen dem Belag und nicht, weil jemand zusieht.
Es ist niemand unterwegs. Also ausser mir wirklich niemand. Die Strassensperre beschert mir 45 Meilen Fahrbahn nur fuer mich selbst, was die Gefahr für Todesursache Nummer 1 im Death Valley erheblich senkt (das ist eben nicht verdursten, Schlangenbiss, Kreislaufkollaps und Co. ...). Suedwind blaest mich durchs Death Valley nach Norden. Der auf dem Rahmen unter dem Lenker zwischen den Oberschenkeln positionierte Tacho zeigt 106 Grad F an - mein Gefuehl sagt 35-40 Grad C. Mit DEM Wind ist das natuerlich easy. Und wer durch Australien fahren kann, schafft auch das...

Sonst ist niemand in diesem Bereich des Backofens unterwegs

Salzkruste

Gelbe Blüten. Wie hat es hier wohl vor ein paar Wochen ausgesehen?



Blumenfelder auf dem ganzen Schuttkegel.








Die ersten Menschen im Death Valley sehe ich in Badwater (ein Parkplatz, eine stinkende Toilette, ein Steg in die Salzwueste und dieses Schild, auf dem die Höhe unter Meer steht). Da Veloverbot herrscht, verzichte ich darauf, mich durch den Menschenstrom ( zwinker ) zu bewegen. Der See liegt unter dem Meeresspiegel. Gegensaetzlicher koennte die Gegend nicht aussehen im Vergleich zu den letzten Malen, als ich mit dem Velo auf gleicher Hoehe war: Tunnels in Norwegen...

Ab Badwater da gibt es keine Blumenfelder mehr. Ich bedaure die anderen Touristen - sie mich ziemlich sicher auch.
Furnace Creek.
Mit der Salzkruste, welche einmal ein TShirt war, moechte ich nicht ins Restaurant. Zum Glueck gibts auch einen kleinen Laden.


Der Mond wird die Sonne pünktlich ablösen.


Abendstimmung


Abendstimmung


Der richtige Zeitpunkt, um die Kopfbedeckung von "Schutz vor der Sonne" zu "gesehen werden" zu ändern - das Rücklicht ist am Helm... Immer getreu nach dem Motto Kluge Köpfe schützen sich zwinker . Übersetzung grünes Schild: Meereshöhe. Übersetzung weisses Schild: Für Fotos nicht auf der Strasse anhalten.

Auf der Fahrt nach Stovepipe Wells bricht die Nacht herein. Shirt und Hose wasche* ich auf der Toilette kurz aus und im Laden fuelle ich meine Vorraete auf. Nach meinen Recherchen sind es 100mi bis zum naechsten Ort (nach 75mi kommt die Ortschaft Trona, welche ich aber aus verschiedenen Gruenden nicht in die Versorgungsplanung aufnehmen will/kann).
*trocknen im heissen Gegenwind auch in der Dunkelheit getragen sehr schnell.
Das Visitor Center hat bereits geschlossen und so habe ich zwei von drei Nationalparks besucht, ohne den Parkpass zu benötigen/zeigen (Grand Canyon: Da war gerade Nationalparkwoche, also kein Eintritt).

Towne Pass.
In Stovepipe Wells war ich noch exakt nach meinem Zeitplan unterwegs, diesen Pass habe ich allerdings deutlich unterschaetzt. Byebye Plan dann lege ich mich auch einmal für ein paar Minuten hin. Sehr oft, also fast immer, gehts im kleinsten Gang vorwaerts. Einer der Kontakte in der Lampe ist gebrochen, weshalb sie unzuverlaessig ist - als Frontlicht bei Gegenverkehr reicht die Stirnlampe.

Etwas nach Mitternacht bin ich oben. Höhenangabe war "am Stück" - logisch, wenn man unter Meereshöhe startet.

Die vier Stops waehrend der Abfahrt sind noetig, wie mir der Geruch der Bremsen jeweils sagt. Hier bei Tageslicht ohne diese Bremsenbelastung herunterzubrettern waere sicher super - und wahrscheinlich haette ich einen neuen persoenlichen Reisevelo-Temporekord aufgestellt...

Zwischen 2200 und 0500 werde ich fuenf Fahrzeuge sehen: Ein WoMo, ein drei Pickups umfassender Convoi und noch ein Pickup.

Im Panamint Valley habe ich die erste Krise. Der Gegenwind ist leider gleich stark wie der Wind vor ein paar Stunden eine Bergkette weiter links.


Der Belag ist @#$%.

Und wird - gerade als ich mir die naechste Mahlzeit unter den Arm geklemmt habe - noch @#$%. Mampf vorerst wieder verstauen, sonst landet der noch im Sand... Auf dem Satellitenbild ist zu sehen, dass hier einmal ein Belag WAR.

Slate Range Crossing.
Die Huegel sind mittlerweile hoeher als der Mondstand, weshalb die Lampe ausser fuer die Abfahrt vom Towne Pass doch noch zum Einsatz kommt. Oben ziehe ich erstmals etwas ueber das TShirt an - nur fuer ca. 2h


Trona, Lichter links im Bild, ist wirklich keinen Stop wert.

Monduntergang (gleicher Ort wie obiges Foto, aber in andere Richtung). Akkus im GPSr tauschen (war die ganze Zeit an - mit fast jedem anderen Geraet waere deutlich frueher Schluss gewesen - und nach den gerade eingelegten Akkus gibts noch ein Reservepaar und ein Akkupack zwinker ).


Morgenstimmung

Zmorge in Ridgecrest.

Walker Pass.

Bis 3mi vor der Passhöhe geht es die Hauptsteigung mit Rückenwind hoch. Also mehr als 50% schmunzel


"Joshua Trees" überall.

Die Fahrt hinab durch das South Fork Valley zum Lake Isabella ist landschaftlich sehr schoen.

Und der Gegenwind richtig kraeftig - teilweise fahre ich in der Ebene auf dem mittleren Blatt (also unter 8mph). Die Beine sind muede.

Rastplatz am Lake Isabella

Als letztes Highlight wartet die Schlucht des Kern River auf mich. Entweder links auf der alten Strasse oder rechts auf dem autobahnaehnlich ausgebauten Hwy, welcher auf meiner Übersichtskarte sogar als Freeway eingetragen ist:

Rechts. Das schöne Wolkenspiel entdecke ich erst bei der Fotosichtung - unterwegs ist der Blick manchmal auf anderes gerichtet oder auch einfach "müde".
Der Belag ist schlecht, der Wind will mich so schnell wie moeglich an den Nordpol blasen und es warten ein paar fiese Gegensteigungen. Immerhin: Es gibt keinen Verkehr.

Als sich die alte und die neue Strasse zu einer Schmalen (Schild: nicht ueberholen fuer 14mi) vereinen habe ich die zweite Krise. Rest vom Beef Jerky, Rest der kandierten Fruechte und ein Liter Wasser in den Magen. Dazu gut rollender Belag ohne Gegensteigungen und alle paar Meter eine Moeglichkeit nach rechts auszuscheren:

Krise weg, die Fahrt durch die Schlucht ist wunderschoen.


Orangenhaine. Willkommen in Kalifornien.


Sandsturm! Hätte ich gewusst, dass der Spuk nach ein paar Minuten vorbei (siehe Foto) sein würde, hätte ich mich nicht so in Schale geworfen, ähm gehüllt.


Durch Bakersfield geht es ueber unerschlossenes Gebiet, Villenviertel, Velowege und ganz zum Schluss auch noch im ersten Gang ueber eine Eisenbahnbruecke.

Der Fastfoodschuppen gleich neben dem Motel hat eine Bank, da kann man sich besser daran abstuetzen als an einem Stuhl.

Tiefschlaf.

Fazit: Ich wollte wieder einmal die Grenzen ausloten und bin teilweise ans Limit gestossen.

(Tacho: 389.49, 32:34, 21'160. Strava: 619.6km, 32:34:18, 6,256m, 36:40:00)

Die Schweiz-Deutsch Übersetzungen habe ich hier bewusst eingefügt...