Re: USA im Frühling: Florida

von: veloeler

Re: USA im Frühling: Florida - 28.06.16 10:02

Florida

(Beitragsbild entstand beim Verlassen des Staats.)

Nach links breitet sich eine ruhige Quartierstrasse aus, rechts folgt nach wenigen Metern eine T-Kreuzung auf die vielspurige Flughafenumfahrungsstrasse und unter mir das soeben wieder zusammengebaute Velo. Mache ich die die Velokontrollrunde nach links bevor ich mich Füsse voran ins Abenteuer stürze?

Volle Konzentration, wegen Baustellen auch ein paar Umfahrungen, das Morgenlicht im Gesicht, "Blendgranaten" in rot/weiss nach vorne/hinten... Der Weg vom Flughafen führt über vielspurige Highways, beschauliche Quartierstrassen und scherbenübersäte Radwege nach Osten vorbei an verschlafenen Häusern, hässlichen Industriebauten, Obdachlosen, Luxuskarossen, einer begeisterten Schulbusfahrerin und vielem, was mir aufgrund der Konzentration auf "Verkehrsregeln eines unbekannten Landes in der Rushhour einer Grossstadt" schlicht egal ist.
Verschnaufpause gibt es, als sich gerade hinter(!) mir die Schranke der Hebebrücke schliesst und sich die Schiffspassage öffnet. Zwischen Miami und Miami Beach ist auf der flachsten Überquerung kaum Lärm :-) .

Im Windschatten von zwei Gümmelern flitzt es sich gut die vorerst letzten Meter nach Osten. Bald darauf tauchen die Füsse im Atlantik - baden wäre möglich aber mir zu kalt.

Füsse im Atlantik


Miami Beach



Parallel zur Küste fährt es sich trotz Hochhäusern zu beiden Seiten problemlos dank zwei Spuren pro Richtung und bicycles may take full lane - da lasse ich mich nicht zweimal bitten.

Miami Beach wenige ft weiter westlich



Der eingeholte Gümmeler mit Saxo-Bank-Trikot in der Ausführung "Schweizer Meister" ist pensionierter Kanadier, welcher hier jedes Jahr überwintert - das Trikot habe er bei der Ankunft der Tour de France 2010 auf den Champs Elisées erstanden...

An einem Rastplatz raschelt eine grosse Echse durch die Blätter.

Im State Park, dessen Attraktion aus einem 50ft hohen Hügel besteht, mache ich kurz Rast. Nicht ohne auf einem "Wanderweg" erstmals den kleinsten Gang ausprobiert zu haben. Habe ich erwähnt, dass alles flach, wirklich topfeben, ist?

Auf der Shoulder, dem Seitenstreifen, der State Road 27 (Ausbaustand "europäische Autobahn mit mehr Platz zu allen Seiten") bläst der Wind ajs Süden und das Velo läuft. Entgegen der Erwartung hat es nicht an jeder Auffahrt der Interstate, das sind die richtigen Autobahnen, einen Laden/Tankstelle/Motel. So raste ich zwar unter einer der vier Brücken, habe aber für die nächsten ?40? mi kein Wasser. Bei gut 80* geht das gerade noch.

Im ersten Laden, ein Subway mit einer extrem untermotivierten Mitarbeiterin, gebe ich mich dem Soda Fountain hin. Das Paradies für durstige Velofahrer besteht nicht aus dem labrigen Sandwich sondern eben aus diesem "Wunderbrunnen": Statt eines Getränks ersteht man einen Becher, dessen Inhalt man am Getränkespender selbst individuell zusammenstellen kann. Mehrmals.
Traurigerweise habe ich kaum Appetit - ob es am Durst, der Erschöpfung oder nur am Jetlag liegt?

Der Bike Path entlang des Okeechobee-Sees ist eigentlich super schön, weil mit gutem Belag, verkehrsfrei und auf dem Damm mit schöner Aussicht. "Eigentlich", weil ständig gebaut wird und dies teilweise ohne Vorwarnung. So habe ich nur wenige mi darauf gefahren und bin darauf kaum vorwärtsgekommen und das auch nur, weil mir zurückfahren in dem Fall zu blöd war und ich das Velo zweimal über die Böschung gezerrt habe. Mehr als 3 mi bin ich nie am Stück zurückgefahren.

Veloroute. Dass ich hier nochmals in Gegenrichtung fahren werde, weiss ich zum Fotozeitpunkt noch nicht.



Auf einer kleinen "Umfahrungsstrasse" scheuche ich ein Tier auf, das einem Luchs ähnelt. Am nächsten Morgen sollten mir noch eimal zwei dieser schönen Tiere begegnen.

Abendfahrt





Am Rand einer dieser Baustelle gibts am ersten Abend Wildcamping. Das Zelt dient als Mückenschutz.



Rückenwind gestern. Gegenwind heute.

Am Morgen. 3 mi zurück und ebenso viele zusätzlicher Umweg auf einer State Road. Hätten sie das nicht früher anschreiben können?





Highlight des Morgens ist doch noch ein kurzes wirklich durchgängiges Stück des Bike Trails, welcher wieder wunderschön zu fahren ist und von welchem aus ich meinen ersten Alligator sichte.

Wunderbar!



Mittagsrast mache ich im Schatten einer Infotafel eines verwaisten Wanderweg-Beginns, welcher von der Infrastruktur an einen australischen Outback-Rastplatz erinnert. Für meinen Kopf habe ich zu wenig Hunger und zu wenig Durst.

Es geht viel über Land.

Welliges Terrain und auf beiden Seiten gibt es Orangenplantagen. Die Früchte werden teilweise gerade geerntet. Etwas später fahre ich auch durch - so kommt es mir jedenfalls vor - eine Orangensaftfabrik. Der Geruch macht richtig durstig zwinker .

Orangen


Mittlerweile ist wieder abendliche Rushhour und so kann ich die vielen Seen, welche sich teilweise zu beiden Seiten der Strasse gleichzeitig ausbreiten nicht immer geniessen. Die Fahrt durch das Gebiet um Winter Haven macht nur mässig Spass.

Am Abend erreiche ich den Gen. Van Fleet Trail, auf welchem sich viele Hirsche und Hörnchen tummeln und ich in beinahe völliger Dunkelheit das Zelt an den Rand stelle. Die 153 mi heute waren etwas zuviel des Guten...



Es ist noch stockfinster, als die Räder wieder rollen - wenn ich heute nochmals so weit fahre wie die letzten zwei Tage, bin ich sogar einen Tag früher in Gainesville. Um dort bei Tageslicht anzukommen muss ich entsprechend schon früher los. Ein paar mi auf diesem völlig leeren, topfebenen und schnurgeraden Weg fahre ich gänzlich ohne Licht. Eigenartig. So kann ich einem Teil des Withlacoochee State Forest mit seinen ?Mangroven? beim Erwachen zusehen. So schön wie die Hände kalt sind.

Von einem Trail geht es zum Nächsten natürlich wieder Überland.

Auf dem ?Withlacochee? Trail traue ich meinen Augen kaum. So viele Liegevelos wie auf diesen 30 mi habe ich in meinem ganzen Leben vorher noch nicht gesehen. Es sind mit Ausnahme von zwei Tandems ausschliesslich Tadpole-Trikes oder Sesselräder/Langlieger.

Ruhiger Abschnitt des Trails



Wenige Meter nach dem Verlassen des Trails darf/muss ich eine der eigenartigsten US-Verkehrsregeln anwenden: Ein Schulbus auf der Gegenfahrbahn lädt Kinder aus, was auch für mich "Stop" heisst.

Das Terrain ist jetzt wirklich wellig und im Wissen, dass ich mein Tagesziel erreichen werden, nehme ich etwas Druck von den Pedalen.

Gemütlich nach Gainesville



Es gibt ein herzliches Wiedersehen in Gainesville mit leckerem Znacht, viel Gelächter und ein paar Bier.



"Der Hunger" erwacht wie erwartet am nächsten Morgen. Schon eigenartig, wie voraussagbar das ist. Das Velo steht jetzt drei Tage ungenutzt herum.

Im nahen Paynes Prairie State Park gibt es Alligatoren und Wildpferde aus nächster Nahe zu betrachten. Und natürlich alle möglichen Vögel wie überall. Alligatoren werden hier liebevoll "Gators" genannt, was gleichzeitig auch das Motto ist: Die Sportteams heissen auch so und es gibt auch ein danach benanntes Getränk (wer kennt es, gibt es nämlich auch in Europa?).

Gator





Während ich in ein Telefonat vertieft bin, wird mir das Essen im an einen Ramschladen oder ein Outback-Roadhouse erinnernden Restaurant in Micanopy bestellt. Das Telefon hat gut getan schmunzel schmunzel . Das Essen auch.

Um was es sich beim "Temple of the Universe" handelt, wo unsere Tischnachbarinnen gerade waren, können wir nur mutmassen...

Mit dem Feldstecher sind von einem Aussichtsturm Bisons zu sehen.

Walmartbesuch. Check.

Den Tag lassen wir mit einem Spaghettiplausch und "quirklen", ein Gesellschaftsspiel, ausklingen.



Zmorge draussen. Herrlich.

Auf dem Ichetucknee River lassen wir uns mit Kayaks treiben. Es ist klarstes Wasser. Ständig tut sich in einem Seitenarm eine neue Quelle auf, die zu erpaddeln sich lohnt. Auf den im Wasser liegenden Stämmen sonnen sich viele Schildkröten. Es gibt Bäume mit roten Blättern und jede Menge Vögel, Fische und Schmetterlinge. Das Highlight sind aber 3-4 "manatees", zu deutsch "Rundschwanzseekühe". Tolle Tiere.

Schildkröten


Manatee


Umgebung


Kartoffeln, Fleisch, Chips und als Gemüsebeilage mit ?Spinat? versetzte Würste gibt es als Nachmittagssnack ganz in der Nähe einer dieser Quellen vom Grill.

Mit UNO, Jass, gutem Wein und frischen einheimischen Erdbeeren beschliessen wir den Tag.


Am Sonntagnachmittag lassen wir uns von der Sonne braten, während vor uns die Baseball-Gators gerade die "Big Green" überholen.

Sooo spannend ist Baseball nicht



Das Footballstadion gleich nebenan bietet in der 130'000-Einwohner-Stadt 80'000 Zuschauern platz und wird gerade von Sportlern als Treppenlauftrainingsgelände zweckentfremdet.

Im Football ist gerade Saisonpause



Nach einem schmackhaften Kaffee in einer Studentenbeiz machen wir eine Tour durch das Schmetterlingshaus mit fachkundigster privater Führung inkl. Besuch der eindrücklichen nicht-öffentlichen Schmetterlingssammlung in den Katakomben der Uni.

Waschen. Nachmittagsschlaf.

Znacht im "Outback".

Am Montagmorgen herzliche Verabschiedung in den Alltag.
Zitat:
Liebe Gastgeber,
Vielen vielen Dank für diese drei super Tage!
Bottom line: Ihr seid mega!


Ab jetzt geht es auf der "Southern Tier" vorwärts. Das ist eine der quer durch das Land verlaufenden Veloroute. Meistens auf schönen und verkehrsarmen Strässchen folge ich dem Verlauf in Richtung Westen.

Ob ich nach San Diego(=Anfang/Ende der "Southern Tier") fahre, wie die scheinbar vielen hier durchkommenddn Radler, werde ich von einem Bauern beim Mittagsrast gefragt.

Irgendwo auf der Southern Tier


Von diesen vielen Radlern sehe ich den ganzen Tag keinen Einzigen.

Camping im Suwanacochee (oder Suwanee?) State Park. Dieser ist völlig überfüllt und zwei Quebecaner haben auf ihrem Platz ein Plätzchen für mein Zelt - die ersten, welche ich angefragt habe.

Telefon. :-) :-)

1h vor Sonnenuntergang bin ich bettfertig. Die anderen Campinggäste scheinbar noch lange nicht.

Der Schein trügt, denn auch die Kanuten mögen es ruhig und stehen am Morgen wie ich vor der Sonne auf.

Zum zweiten Mal auf der Tour friere ich während der ersten Meilen an die Finger.

Zmorge vor einem Supermarkt mit zwei spannenden Gesprächen.

Dank Lonely Planet weiss ich, warum die Southern Tier einen solchen Umweg macht: Ein Bike Trail ist nur so erreichbar. Entgegen der ursprünglichen Planung folge ich der offiziellen Route. Die wenigen Meilen Bike Trail waren den Umweg nicht wert. Eine Reifenkontrolle war sogar zum genau richtigen Zeitpunkt, denn nur wenig später hätte sich die Scherbe durch die Karkasse gearbeitet...

Dass ich auch nach 200mi noch keine Reiseradler getroffen habe, erstaunt mich. Insbesondere auch deshalb, weil ich die aktuelle Jahreszeit für ideal in der Gegenrichtung halte (im Spätwinter durch die Hitzepfannen von New Mexico und hier dennoch angenehm warm).

Der für die Übernachtung ausgewählte CP erweist sich als "Campground Cemetry" - ein Friedhof. Nach 115mi ist mir das egal.

Friedhofcamping



Am Morgen steht ein Auto nur unweit vom Zelt. Anscheinend war ich nicht alleine mit der Idee und im Land der Zombies habe ich gut geschlafen.

Eigentlich den ganzen Tag, immerhin 100 mi, fahre ich auf der US90 oder in die gleiche Richtung führende Alternativrouten (kleiner Abstecher in Chattahoochee nach Georgia), welche manchmal flacher, manchmal verkehrsärmer und manchmal mit Flüsterasphalt versehen ist. Wie die letzten Tage aber fast immer mit Rückenwind.

Zeitzonenwechsel. Blick nach rechts flussaufwärts.



Im State Park nehme ich in der Karstquelle das längst überfällige Bad. Herrlich trotz sehr frischer Wassertemperatur. Die zwei Amis nebenan schütteln innerlich wohl nur den Kopf - oder sind neidisch.

Karsquelle. Das Bad ist erfrischend!

Ein Volunteer(=zwei Monate hier Ansprechpartner) versucht mich im Park für die Nacht unterzubringen, was eigentlich nicht erlaubt ist. Leider erreicht er den Ranger(=Entscheider) nicht und ich fahre in DeFuniak Springs einmal um den runden Teich und quartiere mich dann im Motel ein:

Im Motel

Dank Rückenwind am dritten Tag in Folge komme ich gut voran und entscheide mich wieder der offiziellen Routenführung und nicht meiner Abkürzung zu folgen. Das hat sich mehr wegen den verkehrslosen Strässchen als wegen den 7 mi Bike Trail gelohnt.

Nagelneuer Belag und dank Baustelle auch kaum Verkehr


Alaska? Unten zeigt der Tacho 43 an, die Empfehlung auf dem Schild 15.


Australien? (Bin die abgebildete Strasse nicht gefahren)



Ab Pensacola ist Florida nur noch scheusslich zu fahren.