Re: Radreise Frankreich/Nordspanien (Lyon-Kantabrien)

von: Tom72

Re: Radreise Frankreich/Nordspanien (Lyon-Kantabrien) - 06.06.15 13:19

20. Tag (10.10.2012), Gernika – Castro Urdiales (Zugfahrt Amorebieta-Bilbao)

Morgens sehe ich mich in der Stadt um. Das Wetter ist heute leider trüber und bewölkter als die vergangenen Tage.



Die bedeutendste Sehenswürdigkeit von Gernika ist die als Nationalsymbol der Basken geltende Eiche, unter der einst der baskische Ältestenrat tagte und unter der die kastilischen Könige die Achtung der baskischen Sonderrechte (Fueros) schworen. Die Eiche steht in einem Pavillon neben dem Gebäude des ehemaligen baskischen Parlaments; es ist aber nur noch ein Stumpf vorhanden. Laut meinem Reiseführer wird bei Absterben des „Gernikako Arbola“ jeweils aus seinen Eicheln ein Nachfolger neu gesetzt. Bei dem Stumpf in dem Pavillon handelt es sich um den sogenannten „Alten Baum“ (1742-1892).



Ganz in der Nähe hängt eine aus bemalten Kacheln bestehende Version in Originalgröße von Picassos unter dem Eindruck der Zerstörung der Stadt durch die deutsche Luftwaffe (Legion Condor) entstandenem weltberühmtem Gemälde „Guernica“. Als Auftragsarbeit des (noch) republikanischen Spaniens für die Weltausstellung 1937 in Paris konzipiert, befindet sich das Original, das auf Wunsch Picassos erst nach dem Ende der Franco-Diktatur an den spanischen Staat gehen sollte, seit 1981 in einem Museum in Madrid; eine Nachbildung hing bis vor wenigen Jahren im UN-Gebäude in New York, und eine weitere Version kann ich nun hier in Gernika selbst bewundern.



Für den heutigen Tag habe ich vor, den Zug nach Bilbao zu nehmen und westlich noch möglichst weit entlang der Küste zu kommen, da morgen der letzte Fahrtag sein wird und sich daher bereits morgen entscheiden wird, wie weit ich insgesamt kommen werde. Die Tage ab übermorgen sind bereits für die Zugrückfahrt reserviert. Nicht zuletzt deswegen will ich zur Zeitersparnis die Fahrt ins Ballungsgebiet von Bilbao mit dem Zug absolvieren. Gernika liegt an einer nördlich von der, die gesamte spanische Atlantikküste von Galicien bis Hendaye in Frankreich begleitenden, Schmalspurlinie abzweigenden Stichstrecke. Das Netz der Schmalspurstrecken entlang der Costa Verde wird im westlichen Teil von der damals noch eigenständigen, inzwischen in die nationale Bahngesellschaft RENFE integrierten Gesellschaft FEVE (Ferrocarriles de Vía Estrecha) und im baskischen Teil, östlich von Bilbao, von den Ferrocarriles Vascos/Euskotren betrieben. Fahrradmitnahme ist in den spanischen Schmalspurbahnen problemlos und reservierungsfrei möglich. Ich könnte also bereits in Gernika in den Zug steigen, will aber noch über einen kleinen Pass fahren und entscheide mich, erst in Amorebieta an der Hauptstrecke der Schmalspurbahn einzusteigen.

Die Strecke über den Pass Alto de Autzagana (230 m) ist unangenehm stark befahren, vielleicht hätte ich doch bereits in Gernika in den Zug steigen sollen.



In Amorebieta angekommen, nehme ich dann den Zug nach Bilbao (ca. 20 km).



Der Zug erreicht die Endstation Atxuri des baskischen Teils der Schmalspurbahn (Euskotren) entlang des Ufers des Río Nervión/Ría de Bilbao.







Ich bin nun in der zweitgrößten Stadt der Reise nach Lyon. Entlang der Trasse der erst vor ca. 10 Jahren in Betrieb genommenen Straßenbahnlinie (Euskotran) erreiche ich die Innenstadt.



Auf dem diesseitigen, östlichen, Flussufer liegt die historische Altstadt, und auf dem westlichen Ufer der neuere Stadteil aus dem späten 19./frühen 20. Jahrhundert mit großzügigen Boulevards. Dort liegt auch der Kopfbahnhof des von Galicien kommenden westlichen Teils der nordspanischen Schmalspurlinie mit der prächtigen Jugendstilfassade. Dort werde ich bereits morgen auf der Rückreise mit dem Zug wieder ankommen.





Da ich abgesehen vom heutigen Tag nur noch einen weiteren Fahrtag habe und auf der Rückreise ohnehin eine Übernachtung in Bilbao eingeplant habe, halte ich heute meinen Aufenthalt in der Stadt möglichst kurz (obwohl mir die Stadt auf Anhieb gefällt), um heute und morgen noch möglichst weit nach Westen zu kommen. Ich hole daher nur einige Auskünfte in der Tourismusinformation ein und suche eine Buchhandlung, um mir die Michelin-Karte für Kantabrien zu besorgen, da ich über Bilbao hinaus noch keine Karten habe.

Im rechts des Flusses gelegenen Viertel fallen mir mehrere Gebäude im Jugendstil (spanisch „Modernismo“) auf.



Bei der Fahrt aus der Stadt hinaus Richtung Küste entlang des westlichen Flussufers profitiere ich im Innenstadtbereich zunächst von entlang des Ufers verlaufenden Radwegen, die mich auch am berühmten Guggenheimmuseum vorbeiführen.



Dann finde ich nach einigen Irrungen über meist stark befahrene Straßen, teilweise mit Blick auf den Río Nervión, einen Weg Richtung Küste.



Im Stadtteil Portugalete habe ich von Weitem einen Blick auf die historische Schwebefähre über den Nervión. Die Zeit, sie mir näher anzusehen, nehme ich mir aber nicht – wie gesagt, ich will den morgigen Endpunkt der Tour möglichst weit nach Westen „verschieben“.



Vor Jahren habe ich auf einer Radreise entlang der französischen Atlantikküste (nördlich vom auf dieser Reise beradelten Abschnitt) die Charente bei Rochefort auf einer sehr ähnlichen historischen Schwebefähre (Pont transbordeur) überquert.

An der Mündung des Nervión, in Zierbena, verlasse ich das Ballungsgebiet und folge nun wieder auf verkehrsarmen Straßen der Küste, allerdings ganz überwiegend ohne Meerblick.



Das Terrain ist gebirgig, es sind einige Höhenmeter zu bewältigen. Ich folge schließlich der N 634, und der offenbar recht neuen, parallel verlaufenden Autobahn, die auf hohen Viadukten die Täler durchschneidet, verdanke ich, dass ich weitgehend vom Autoverkehr verschont bleibe.



Mehrfach kreuzt eine Variante des Jakobswegs die Straße. Es handelt sich um die entlang der Küste verlaufende Alternative zum eigentlichen spanischen Jakobsweg. Den deutlich weiter südlich verlaufenden „klassischen“ Jakobsweg (Camino Francés) habe ich vor einigen Jahren von Pamplona bis Santiago de Compostela unter die Räder genommen, daher fallen mir die Schilder mit dem Jakobsmuschel-Symbol des hier verlaufenden Camino de la Costa/Camino del Norte sofort auf.



Auch hier begegnen mir wieder einige der im Baskenland auffallend zahleichen Rennradler.



Schließlich überquere ich die Grenze zur autonomen Region (Comunidad autónoma) Cantabria. Somit habe ich es letztlich immerhin bis Kantabrien geschafft; die anfängliche Idealvorstellung, in der zur Verfügung stehenden Zeit noch bis in den Nationalpark der Picos de Europa oder wenigstens bis Santander zu gelangen, war dann wohl doch etwas zu ambitioniert. Mal sehen, wie weit ich morgen noch komme.



Erstmal entscheide ich mich für die Übernachtung für den nächsten größeren Küstenort, Castro Urdiales. Eine gute Wahl. Der Ort hat Charme. Die elegante historische Architektur zeugt davon, dass er bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein mondänes Seebad war.







Ich suche gar nicht erst nach einem Zeltplatz, da ich davon ausgehen, dass jetzt, Mitte Oktober, keiner mehr geöffnet ist, und finde schnell eine nette, einfache Pension für ca. 30 Euro.



Fortsetzung folgt…